Philosophie

Ernährungswissenschaft trifft Esskultur – Naturwissenschaft & Erfahrungswissen

Essen regt alle Sinne an, duftet, schmeckt, bringt Genuss, führt Menschen zusammen, lässt feiern, strukturiert den Alltag, verrät kulturelle Herkunft, Lebensstil und religiöse Einstellung, heilt, zeigt die Einstellung zum eigenen Körper und Umweltbewusstsein, macht zufrieden und bringt Stimmung.

Die Zusammenführung des Logos der Ernährungswissenschaft mit dem Mythos des Erfahrungswissens und die Formung einer alltagstauglichen Anwendung steht im Vordergrund.

 

Gesundheitsfördernde und Gesundheitspolitische Aspekte des traditionellen impliziten Wissens

Sinnstiftung und Identität

Die Überzeugung, dass das eigene Leben und die eigenen Aktivitäten einen Sinn ergeben, wirkt nach der Salutogenese von Antonovsky, gesundheitsfördernd (Antonovsky, 1997). Die Möglichkeiten selbst etwas für seine/ihre und die Gesundheit seiner/ihrer Familie tun zu können gibt Sinn, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Identität.

Wissen um die Zusammenhänge der Natur

Die Natur umgibt uns nicht nur, wir sind auch Teil der Natur – sind selbst Natur. Diese Tatsache und das Bewusstsein darum lässt sich besonders gut bei der Herstellung und Anwendung von Heilpflanzenprodukten erfahren, welche uns so vielfältig und reich vor die Tür gestellt werden. Man muss sie nur erkennen und ihre Bedürfnisse und Besonderheiten erlernen.

Die Überzeugung, selbst handeln zu können

Das Erlernen theoretischer Zusammenhänge sowie das Kennenlernen heimischer Heilpflanzen, regionaler Zutaten und das „Selbst-Erzeugen“ gesundheitsfördernder Produkte zeigt uns das wir nicht nur von Anderen abhängig sind, sondern gibt uns die Möglichkeit unser Leben selbst zu beeinflussen. Diese Selbstbefähigung ist auch eine zentrale Grundlage zur Förderung des Gesundbleibens (Antonovsky, 1997).

Ermächtigung, Teilnahme/Einbindung und Vernetzung

Die Weitergabe des traditionellen Wissens ermächtigt Menschen sich selbst zu helfen, lässt sie teilnehmen an dem Erfahrungsschatz ihrer Kultur und vernetzt sie. Die drei Säulen Empowerment, Partizipation und Vernetzung sind die generelle Basis aller Gesundheitsförderungsprojekte, ob dies nun durch Bewegung, Heilkräuter oder spirituelle Praktiken ist.

Hohe Compliance der Anwendungen und hoher Wirkungsgrad

Der Mensch reagiert besser auf Anwendungen, auf die er in seiner Kindheit bereits konditioniert wurde oder mit welchen er sich über Kultur identifiziert. Deshalb erreichen traditionelle Anwendungen eine höhere Wirkung und eine bessere Akzeptanz (Klosterhalfen, 2005).

Ökologische Aspekte

Die selbstständige Nutzung der Zutaten aus der unserer umgebenden Natur fördert das ökologische Verständnis und die Wertschätzung für die uns umgebenden Organismen und deren Zusammenspiel. Es wird den Menschen bewusst, wie wertvoll z.B. Tannenwipfel, Brennnesselsamen und Fichtenharz sind. Diese Stoffe sind nicht nur Hilfsmittel für den Menschen, sondern haben auch eine enorme Bedeutung für die Pflanzen selbst und für das Ökosystem insgesamt. Diese Erkenntnis sorgt wiederum für einen achtsameren Umgang mit der Natur und hilft, die Natur anderes zu sehen und zu schätzen.

Ökonomische Aspekte

Naturprodukte und regionale Erzeugnisse haben einen immer größeren Stellenwert im Handel. Ein gutes Beispiel für die ökonomischen Möglichkeiten zeigt der erwirtschaftete Umsatz, der durch traditionelle Mediziner und alternative Heilmittel im Kanton Appenzell Ausserrhoden erwirtschaftet wird, er beträgt 18% vom Bruttoinlandsprodukt. Dies ist allerdings nur durch die erleichterte Zulassung im Bereich Komplementärmedizin in der Schweiz möglich.

In Österreich können die heilwirksamen Zutaten als Lebensmittel verkauft oder zu Natur-Kosmetik verarbeiten und auch diese Sparte nimmt stetig an ökonomischen „Gewicht“ zu.

Kultureller Kontext

Erst die Anwendungen im kulturellen Kontext heben ihren Wert. Er spannt den Bogen von der modernen analytischen Sichtweise zur anwendbaren Methode, auf die einzulassen es sich lohnt.

Literatur
Antonovsky A, Franke A (1997). Salutogenese: zur Entmystifizierung der Gesundheit. Dgvt Verlag, Tübingen.
Buchart, K: Traditional biogenic medicine im Pinzgau. Diss. Focus Area BioScience and Health, University of Salzburg (2010)
European Scientific Cooperative on Phytotherapy (2003). ESCOP Monographs. Thieme Verlag, Stuttgart.
Klosterhalfen S, Enck P (2005). Placebos in clinic and research: experimental findings and theoretical concepts. Psychother Psychosom Med Psychol 55(9-10); 433-41.